Gerät der deutsch-französische Motor ins Stocken? Der deutsch-französische Ministerrat, der ursprünglich für den 26. Oktober geplant war, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.Kurz darauf warnte Emmanuel Macron Olaf Scholz vor einer "Isolierung" von seinen europäischen Partnern. Der vermeintliche Alleingang des Kanzlers auf der internationalen Bühne und die deutsch-französischen Meinungsverschiedenheiten zu Themen, die von Energiesicherheit bis zu binationalen Waffenprogrammen reichen, belasten die Beziehung zwischen Paris und Berlin. Werden die beiden Nachbarn also bald wieder zueinander finden? Ist ihr Zerwürfnis symptomatisch für einen Paradigmenwechsel innerhalb der EU? Pascal Thibaut, Deutschland-Korrespondent von Radio France Internationale (RFI), analysiert die Situation.
Könnten Sie auf die verschiedenen Streitpunkte zwischen Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron eingehen?
Im Mittelpunkt der aktuellen Spannungen stehen die Energiefragen und die Bekämpfung der aktuellen Krise. Paris hat das Gefühl, dass Berlin einen Alleingang unternimmt, insbesondere mit der 200 Milliarden Euro schweren Energiepreisbremse, die Deutschland angekündigt hat, ohne Frankreich im Vorab darüber zu informieren. Dieses Vorgehen wird als zu national und nicht europäisch genug empfunden. Die deutsche Strategie, Gas zu sehr hohen Preisen auf den internationalen Märkten zu kaufen, hat die Gaspreise in die Höhe getrieben und schadet den Partnern, die die ablehnende Haltung Berlins gegenüber einen europäischen Gaspreisdeckel nicht verstehen.
Auch die Verteidigungsfragen bewirken Spannungen zwischen den beiden Ländern. Der im Februar angekündigte 100-Milliarden-Plan für die Bundeswehr wurde in Frankreich begrüßt. Doch seither stoßen die Ankündigungen Berlins, außereuropäische Waffensysteme zu fördern, in Paris auf Unverständnis (Frankreich stellt europäische Lösungen in den Vordergrund und hegt im Hintergrund die Hoffnung, dass die französische Industrie dadurch zusätzliche Aufträge erhalten würde).
Darüber hinaus sind Kommunikationsprobleme ein weiterer Grund für die aktuellen Spannungen. Neue deutsch-französische Tandems brauchen üblicherweise Zeit, um sich zurechtzufinden. Olaf Scholz ist ebenso wenig ein Freund überschwänglicher Rhetorik wie Angela Merkel. Auch die Kanzlerin brauchte Zeit, um zu verstehen, dass Europa mehr ist als die bloße technokratische Lösung von Krisen. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der die diplomatische, militärische und wirtschaftliche Politik Deutschlands in ihren Grundsätzen in Frage gestellt wird, was im Ausland Fragen und Besorgnis hervorruft.
Les récentes tensions entre la France et l’Allemagne interrogent sur la place de la France dans la vision stratégique du chancelier Scholz (formulée dans son discours de Prague le 29 août). Le chancelier semble davantage s’adresser aux pays d’Europe de l’Est qu’à son voisin français…
In der Europapolitik setzt sich Berlin für Erweiterungen ein, die Paris traditionell eher zurückhaltend betrachtet, da es eher eine Vertiefung der EU befürwortet. Allgemeiner sieht Frankreich, dass sich das Zentrum Europas nach Osten verschiebt und befürchtet, dass sich Deutschland von seinem traditionellen Partner abwendet. Deutschland versucht hier wahrscheinlich, vergangene Fehler wiedergutzumachen, als der Dialog nach Osten auf Moskau fokussiert war und deswegen Mitteleuropa vernachlässigt wurde. In der Prager Rede von Olaf Scholz wurden die deutsch-französischen Beziehungen und die gemeinsamen militärischen Projekte der beiden Länder nicht erwähnt. Dies stieß in Paris auf Unverständnis. Gleichzeitig sprach sich aber Scholz für eine Ausweitung der qualifizierten Mehrheit in der Europäischen Union aus, was die EU effizienter machen sollte, wie es Paris wünscht. Der Kanzler, der anfangs nicht unbedingt von dieser Idee begeistert war, unterstützte auch Emmanuel Macrons Projekt einer europäischen politischen Gemeinschaft, deren erstes Treffen zwischen den 27 und anderen europäischen Ländern im Oktober in Prag stattfand. Außerdem stimmten die drei deutschen Koalitionsparteien schon früh den europäischen Plänen des französischen Präsidenten zu (Sorbonne-Rede), während Angela Merkel und die deutschen Christdemokraten dazu schwiegen. Die ideologische Grundlage für europäische Fortschritte ist also zwischen den beiden Ländern durchaus vorhanden, auch wenn heute die Spannungen überwiegen.
Sowohl Frankreich als auch Deutschland wurden von ihren europäischen Partnern beschuldigt, seit Beginn der russischen Offensive nicht genügend Waffen an die Ukraine zu liefern. Der deutsche Abgeordnete Anton Hofreiter (Grüne) behauptet sogar, dass es "das deutsch-französische Tandem (ist), das marginalisiert wird, und nicht nur Deutschland, das sich isoliert". Teilen Sie diese Einschätzung?
In der Tat waren beide Länder eher zurückhaltend, vor allem zu Beginn des Krieges in der Ukraine. Sie befürworteten die Aufrechterhaltung eines Dialogs mit Moskau, was ihnen in Mitteleuropa ebenso vorgeworfen wurde wie ihre früheren Beziehungen zu Wladimir Putin, die als zu "verständnisvoll" angeprangert wurden. Zu dieser diplomatischen Dimension kommt für Deutschland die Abhängigkeit von russischem Gas hinzu, die durch Angela Merkel ausgebaut wurde – damals unterstützte die deutsche Politik weitgehend den Bau der Nord Stream 2 Pipeline. Dies erklärt, warum das Image der beiden Länder in Mitteleuropa beschädigt ist: Dort entsteht der Eindruck, dass die in der Vergangenheit ausgesprochenen Warnungen gegenüber Moskau nicht berücksichtigt wurden. Paris und Berlin haben also viel zu tun, um das Vertrauen in diesem Teil Europas wiederherzustellen. In den letzten Monaten haben beide Länder erkannt, dass der Dialog mit Moskau sie in eine Sackgasse geführt hat. Die militärische Unterstützung für die Ukraine wurde ausgeweitet, auch wenn Kiew sich mehr gewünscht hätte. Berlin lieferte in mehreren Schritten und nach großem Zögern schließlich schwere Waffen, auch wenn die Leopard-Kampfpanzer heute eine rote Linie darstellen. Schließlich ist die finanzielle Unterstützung Berlins für Kiew beträchtlich, zumindest im Vergleich zu anderen europäischen Nationen.