Die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland

1950, inmitten des Kalten Krieges, mit dem Beginn des Koreakrieges auf einer Seite und der Erinnerung an die Berliner Blockade einige Monate zuvor, suchte der Westblock nach einer koordinierten Verteidigungspolitik. Zwar wurde der NATO-Vertrag ein Jahr zuvor unterzeichnet, aber er ist noch nicht in Kraft getreten. Außerdem gehörten der Organisation nur die Gründungsmitglieder an: Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA. Das ist weit entfernt von einem Militärbündnis, das heute den größten Teil des europäischen Kontinents umfasst. Die junge Bundesrepublik Deutschland gehört aufgrund ihrer Demilitarisierung nach 1945 nicht dazu. Doch angesichts der intensiven Auseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion und ihren jeweiligen Verbündeten tauchte bei den Amerikanern die Debatte über eine Remilitarisierung Westdeutschlands auf. Ab September 1950 fordern die Amerikaner, dass Westdeutschland wieder aufrüsten darf, während die Franzosen dies offen ablehnen. Während Washington sagte, dass es die westdeutsche Aufrüstung brauche, um die Ausbreitung des Kommunismus zu blockieren, betrachtete Paris eine potenzielle Aufrüstung als Verlust eines Wettbewerbsvorteils gegenüber den Deutschen und hatte vor allem noch die Erinnerung an Hitlers Remilitarisierung des Rheinlands im Jahr 1936, die den Versailler Vertrag brach. Daraufhin änderte der französische Außenminister Robert Schuman am 16. September 1950 seine Haltung und stimmte der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik bedingt zu. Mit der Unterstützung eines gewissen Jean Monnet, Generalkommissar für den Plan, forderte er, dass die BRD nur im Rahmen einer supranationalen Organisation gemeinsam mit Frankreich und anderen Staaten wieder aufrüsten sollte.

Der Pleven-Plan

Zu diesem Zeitpunkt arbeiten Schuman und Monnet an dem Text, der zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), dem Vorläufer der Europäischen Union, führen soll. Ziel der EGKS war es, die Interessen der westeuropäischen Kohle- und Stahlindustrie zu bündeln, um einen baldigen Krieg zwischen diesen Staaten "materiell unmöglich" zu machen. Die Idee ist also, die EGKS im Nachhinein über diese neue gemeinsame Verteidigungsorganisation zu erweitern. Am 24. Oktober 1950 wurde dieses Projekt vom französischen Regierungschef René Pleven vor der Assemblée Nationale vorgestellt. Darin stellte er eine Armee vor, die einer vereinten europäischen Organisation zugeordnet sein sollte, mit eigenem Kommando, eigenem Haushalt und einem europäischen Verteidigungsminister. Die USA widersetzen sich der Idee einer europäischen Verteidigung nicht, da diese Organisation in die NATO eingegliedert würde. Vielmehr kritisieren sie, dass die Umsetzung dieses Projekts den westlichen Streitkräften im Kalten Krieg Zeit kosten würde.

Die Entstehung des EVG-Projekts

In der Bundesrepublik wird das Projekt von Bundeskanzler Konrad Adenauer unterstützt, aber von der Sozialdemokratischen Partei (SPD) kritisiert. Außerdem will die Bundesrepublik in der zukünftigen Organisation genauso viel Mitspracherecht haben wie Frankreich. Kurz darauf verfasst Frankreich 1951 einen Zwischenbericht, überzeugt US-Präsident Eisenhower und wird von der NATO gebilligt. Am 19. Februar 1952 stimmt die französische Nationalversammlung der Idee der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet mit ihren drei ehemaligen Besatzungsmächten am 26. Mai 1952 das Bonner Abkommen und erlangt die volle Souveränität. Der Vertrag zur Gründung der EVG kann am nächsten Tag von der BRD, Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg unterschrieben werden. Die EVG entspricht dennoch nicht genau dem Pleven-Plan, da die supranationale Dimension nicht beibehalten wird und bleibt stark von den Mitgliedsstaaten abhängig.

Die Ratifizierungen und das "Verbrechen vom 30. August"

Dieser Vertrag zur Gründung der EVG muss nun von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Der Bundestag war im März 1953 der erste, gefolgt vom niederländischen, belgischen und luxemburgischen Parlament. Doch in Frankreich spaltet die Vertragsratifizierung sowohl das Parlament als auch die Gesellschaft. Man spricht von den "Cédistes" und den "Anti-Cédistes". Die wichtigste Partei der Cédisten, also der Befürworter der Ratifizierung, ist Robert Schumans Mouvement républicain populaire (christdemokratische und europafreundliche Tendenz). Die Kommunistische Partei und die Rassemblement du peuple français (RPF) von General de Gaulle sind einstimmig anticedistisch und führen eine Kampagne durch, in der sie die EVG als eine neue Invasion Frankreichs durch deutsche Soldaten darstellen. Die Parti radical und die Section française de l'Internationale ouvrière (SFIO, Vorläufer der PS) sind in dieser Frage extrem gespalten. Die französischen Präsidentschaftswahlen von 1953 mussten zwölfmal wiederholt werden, da das Parlament gespalten war (da es den Präsidenten unter der Vierten Republik wählte). Die beiden Favoriten, Joseph Laniel (Cedist) und Marcel-Edmond Naegelen (Anti-Cedist), konnten keine Mehrheit erringen. Gewonnen hat sie René Coty, der seinen Sieg wohl einem Krankenstand zur Zeit der EVG-Debatte zu verdanken hat. Dank dessen musste er seine Position in der Frage nicht bekannt geben. Am 30. August 1954 wurde der Vorschlag zur Ratifizierung der EVG in der Nationalversammlung eingebracht: Er wurde mit 319 zu 264 Stimmen abgelehnt. Die Radikalen und Sozialisten, auf die sich das cedistische Lager verlassen hatte, stimmten teilweise gegen die Ratifizierung. Die fehlende Unterstützung des Projekts durch den radikalen Regierungschef Pierre Mendès France wurde für die MRP zum "Verbrechen des 30. August" und führte Frankreich in eine neue Regierungskrise. Das EVG-Projekt wiederum verfiel und wurde dem italienischen Parlament nicht einmal zur Ratifizierung vorgelegt. Die EVG, die 1950 in Frankreich geboren wurde, endet also 1954 auch in Frankreich.

Die Folgen des Scheiterns der EVG

Die Aufgabe der EVG ist ein Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses. Als Ersatz für die EVG wird die Westeuropäische Union (WEU) mit den sechs EVG-Ländern und dem Vereinigten Königreich gegründet. Die Organisation, die die EVG wirklich ersetzt, ist jedoch die NATO. Die BRD wendet sich der Schaffung der Bundeswehr als nationale Armee zu.

Der Aufbau Europas kommt also zum Stillstand. Doch 1955 organisierte der belgische Premierminister Paul-Henri Spaak die Konferenz von Messina, die den Grundstein für die Römischen Verträge von 1957 legte, mit denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet wurde. Anstatt in Fragen der Sicherheit und Verteidigung zusammenzuarbeiten, werden die europäischen Staaten einen Raum der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aufbauen, der mit der Zollunion beginnt. Die EWG und später die Europäische Union entwickeln sich dann vor allem in ihrer handels- und währungspolitischen Dimension. Doch mit der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik (GASP) und erst recht seit der russischen Invasion in der Ukraine in diesem Jahr rückt die Idee eines Europas der Verteidigung wieder in den Vordergrund. In diese Richtung geht auch die Forderung des Europäischen Rates, im Juni 2022 eine "Europäische Politische Gemeinschaft" zu gründen.