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Frankreich, Deutschland, Türkei: Geopolitische Beziehungen an der Kreuzung Eurasiens

Am Schnittpunkt von Geografie und Geschichte, Wirtschaft und Demografie sind die Beziehungen zwischen Istanbul, Paris und Berlin von Abhängigkeiten und Reibungen geprägt. Als eine der Großmächte im europäischen Spiel hat die Türkei eine lange Tradition der Interdependenz mit den beiden Nationen Frankreich und Deutschland. Als "erhabene Pforte" Asiens, vor den Grenzen eines heute größtenteils vereinten Europas, sind die Herausforderungen der Beziehungen zwischen den drei Ländern vielfältig. Geopolitische, wirtschaftliche, soziale, religiöse und migrationsbezogene Fragen bestimmen den Alltag. Aus der Perspektive des deutsch-französischen Paares wirft die „Türkeifrage“ eine grundlegende Frage auf: Welches Europa für morgen? 

Frankreich und die Türkei: eine lange gemeinsame Geschichte mit Spannungen.

Frankreich und die Türkei haben eine reiche gemeinsame Militärgeschichte, die überwiegend sanft verlief. Diese geht auf die Kapitulationen von 1536 zurück, die das Bündnis zwischen dem Königreich Frankreich unter Franz I.er und dem Osmanischen Reich unter Suleiman dem Prächtigen gegen das Heilige Römische Reich Deutscher Nation unter Karl V. begründeten. Der Geist der Verständigung in diesen Verträgen blieb, abgesehen von einigen kriegerischen Episoden, bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bestehen. Zu diesem Zeitpunkt unterstützte Frankreich die Entwicklung der modernen Türkei, der ersten säkularen republikanischen Nation im Nahen Osten. Die gemeinsame NATO-Mitgliedschaft ermöglichte gemeinsame Verfahren und Standards, die den Austausch zwischen den beiden Ländern erleichterten. Frankreich und die Türkei sind heute durch zahlreiche Rüstungsaufträge verbunden. Trotz dieser Handelserfolge litten die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Nationen unter zahlreichen Streitigkeiten. So haben sich die Beziehungen durch mehrere Streitigkeiten zwischen diesen beiden Mittelmeermächten abgekühlt. Dabei handelt es sich um moralische und rechtliche Konflikte, wie die französische Anerkennung des Völkermords an den Armeniern, aber auch und vor allem um geostrategische Streitigkeiten. Erstens im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg: Die Türkei sah die französische Unterstützung für die syrischen Kurdenmilizen in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat und die syrische Regierung sehr kritisch. Frankreich wiederum prangerte eine gewisse Nachgiebigkeit der Türkei gegenüber den syrischen Islamisten an. In Libyen streiten sich Frankreich und die Türkei über ihre jeweilige Unterstützung, wobei Frankreich die nationalistische Regierung von General Haftar und die Türkei die demokratische, aber islamistischen Bewegungen nahestehende Regierung von Fayez El-Sarraj unterstützt. Schließlich wurde die offensive Haltung der Türkei gegenüber Griechenland in Bezug auf die Ausbeutung der Gasfelder im östlichen Mittelmeer von Frankreich scharf verurteilt. Diese Spannungsquellen führten zu einer relativen Eskalation, die Frankreich und die Türkei heute in die Position von Rivalen im Mittelmeerraum bringt. Darüber hinaus zählt Frankreich zu den Gegnern des türkischen EU-Beitrittsprozesses, der mittlerweile ausgesetzt wurde. 

 Diese Spannungsquellen haben zu einer Eskalation geführt, die Frankreich und die Türkei heute in die Position von Rivalen im Mittelmeer bringt. Darüber hinaus sitzt Frankreich auf der Bank der Gegner des mittlerweile ausgesetzten Prozesses der türkischen Aufnahme in die Europäische Union.

Die Komplexität der deutsch-türkischen Interdependenz 

Auf der anderen Seite teilen Deutschland und die Türkei gegenseitige wirtschaftliche und soziale Abhängigkeiten, die die Situation ganz anders aussehen lassen. Wenn Deutschland gegenüber der Türkei eine relativ versöhnliche Haltung einnimmt, die in Frankreich erstaunen mag, müssen die Gründe dafür analysiert werden. Die im Vergleich zu Frankreich eher zurückhaltende Natur Deutschlands erspart ihm die Spannungen im Zusammenhang mit Syrien, Libyen und Griechenland, aber auch mit Armenien. Die deutsch-türkische Beziehung wird jedoch von anderen Herausforderungen bestimmt.

  • Seit den 1960er Jahren hat sich Deutschland stark auf türkische Arbeitnehmer verlassen, um seine demografischen Probleme und den Mangel an Arbeitskräften in den Nachkriegsjahrzehnten zu lindern. Aus diesem Grund ist die heute in Deutschland lebende türkische Diaspora mit etwa 3 Millionen Staatsangehörigen besonders groß. Darüber hinaus waren Einbürgerungen selten, da im deutschen Recht bis in die 2000er Jahre das Blutrecht vorherrschte. Dieses demografische Merkmal, zusammen mit der Tatsache, dass die Türken in Deutschland im Durchschnitt stark an ihr Herkunftsland gebunden bleiben, macht die Beziehung komplexer. Geopolitische Entscheidungen, sowohl deutsche als auch türkische, hängen teilweise von dieser Situation ab. 
  • Die Energiefrage ist ebenfalls zentral, umso mehr angesichts der neuen Phase des russisch-ukrainischen Krieges, die Anfang 2022 begann. Der "südliche Korridor", ein Netz von Gas- und Ölpipelines, das Russland südlich über die Türkei umgeht, ist für die deutsche Außenpolitik von großer Bedeutung. Deutschland möchte sich von den natürlichen Ressourcen Russlands unabhängig machen und versucht, die Türkei zu schonen, um diese Transportwege aus dem Kaukasus und Zentralasien zu fördern. 
  • Schließlich überträgt der 2016 mit der Europäischen Union unterzeichnete Migrationspakt der Türkei die Rolle, die Migrationsströme aus dem Nahen Osten und Nordafrika im Austausch für Geld und Einfluss einzudämmen. Deutschland, ebenso wie seine europäischen Verbündeten, ist in seiner Migrationspolitik weitgehend von diesem Pakt abhängig.

So versucht Deutschland, die Türkei an das europäische Spiel anzubinden, um zu verhindern, dass sie sich anderen Schauplätzen und Bündnissen zuwendet, wie zum Beispiel mit Russland. Aufgrund dieser Herausforderungen und Abhängigkeiten verfolgt Deutschland gegenüber der Türkei eine versöhnliche Politik und lehnt insbesondere jegliche Sanktionen als Reaktion auf die türkische Haltung ab. Deutschland steht auch an fünfter Stelle bei den Waffenexporten in die Türkei, wobei der Wert der Exporte fünfmal so hoch ist wie der Frankreichs. Deutschland ist somit der größte Handelspartner und der größte ausländische Investor der Türkei.

Deutsch-französische Herausforderungen: eine europäische Antwort? 

Die Beziehungen Frankreichs und Deutschlands zur Türkei gehören zu den komplexesten der internationalen Beziehungen. Die zentrale Stellung, die das Land einnimmt, gepaart mit langfristig angelegten Herausforderungen und manchmal sehr unterschiedlichen Interessen, macht es schwierig, die Politik des deutsch-französischen Paares zu harmonisieren. Im Rahmen der Europäischen Union ist die türkische Frage ein wichtiger Punkt, die EU selbst definieren muss. Ist es in ihrem Interesse, als politischer Akteur aufzutreten und in diesem Fall Griechenland zu verteidigen oder die Türkei zu integrieren, um ihren Einfluss zu vergrößern, oder spielt sie eine Vermittlerrolle, die Austausch und Kompromisse, z. B. in der Energiefrage, fördert? 

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