Wie in Subsahara-Afrika sind die Verbindungen Frankreichs mit dem Maghreb älter und enger als die Deutschlands mit dieser Region. Seit der Ankunft syrischer Flüchtlinge in Deutschland im Jahr 2015 hat sich Berlin den Maghreb-Ländern jedoch hauptsächlich im Hinblick auf die Steuerung der Migrationsströme angenähert und unterstützt Entwicklungsprojekte in diesen Ländern im Rahmen von EU-Projekten.[1].
Libyen: Die Scheidung des deutsch-französischen Paares
In Libyen sprechen die beiden Nachbarn nicht mit der gleichen Stimme. Das Land, das sich seit dem Arabischen Frühling 2011 in einem Bürgerkrieg zwischen konkurrierenden Milizen, kriminellen Gruppen und Dschihadisten befindet, ist für die EU eine schwierige Situation, da sie sich Sorgen über eine Destabilisierung sowohl im Sicherheits- als auch im Migrationsbereich vor ihren Toren macht. Frankreich, das 2011 direkt am Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi beteiligt war, unterstützt stillschweigend die Libysche Nationale Armee von General Khalifa Haftar gegen die international anerkannte Regierung der Nationalen Union: Paris ist der Ansicht, Haftar sei besser in der Lage, die Dschihadisten zu liquidieren, die in Libyen operieren und in die Sahelzone übergreifen – auch wenn Paris sich der Grenzen einer solchen Strategie bewusst ist.[1]Deutschland, das seiner traditionellen Verteidigung des Multilateralismus treu bleibt, befürwortet offen eine politische Verhandlungslösung zwischen allen libyschen Fraktionen und kritisiert die russische, emiratische und ägyptische Unterstützung für Khalifa Haftar. Diese tiefe Divergenz macht eine einheitliche Position der EU in Bezug auf Libyen sehr schwierig und gefährdet den (sehr) fragilen Friedensprozess, der zu einer einzigen nationalen Regierung führen soll. Darüber hinaus vernachlässigt die Übertragung der Steuerung der Migrationsströme an die libysche Küstenwache, die regelmäßig der Folter und des Menschenhandels beschuldigt wird, die Stabilisierung des Landes und führe zu einer Katastrophe, so SWP-Forscher Wolfram Lacher.[2].
Marokko, Algerien und Tunesien: ein ähnlicher Ansatz
Marokko ist für beide Länder ein wertvoller Partner: Die Geheimdienste des Königreichs gelten als erfolgreich im Kampf gegen den Dschihadismus. Die EU unterstützt das Land finanziell, auch um die Migrationsströme aus dem Maghreb zu begrenzen. Die deutsche Beziehung zum Königreich war jedoch nicht immer einfach: Berlin bevorzugt weiterhin eine diplomatische Lösung des Westsahara-Konflikts zwischen Rabat und der Bewegung Front Polisario, was Marokko als Angriff auf seine nationale Souveränität wertet.[3]Tunesien bleibt ebenfalls ein bevorzugter Partner für die EU, die die Demokratie in diesem Land unterstützt. Diese wird nun durch den autoritären Kurswechsel des Präsidenten Kais Saïed untergraben. Was Algerien betrifft, so sind die Beziehungen zwischen Paris und Algier aufgrund der brutalen Kolonialgeschichte des Landes wesentlich komplexer. Die Versuche von Präsident Macron, die Kolonialgeschicjte aufzuarbeiten, stießen in Algerien teils auf Zustimmung, teils auf Unverständnis, da das amtierende algerische Regime mit einem starken sozialen Unmut konfrontiert ist, was seine Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. Algerisches Gas, das ein möglicher Ersatz für russische Quellen, stellt eine Chance für die EU, die sich Algier höchstwahrscheinlich annähern wird.[4].
Eine notwendige Änderung des deutsch-französischen Ansatzes
Indem das deutsch-französische Paar in seinen Beziehungen zur EU nur die Migrations- und Sicherheitsfragen in den Vordergrund stellt, scheitert es laut Isabel Schäfer und Tobias Koepf daran, eine friedliche Beziehung zum Maghreb aufzubauen: "Langfristig ist die Konzentration auf die Verhinderung von Radikalisierung wesentlich erfolgversprechender als die bloße Entsendung von Truppen und/oder die Bereitstellung von Militärhilfe für lokale Regierungen, ohne kontrollieren zu können, ob diese Hilfe auch wirklich effizient eingesetzt wird. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit könnten Frankreich und Deutschland gemeinsam abgestimmte sozioökonomische Reformen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen und beruflichen Perspektiven für junge Menschen in allen Maghreb-Ländern unterstützen".[5]Frankreich und Deutschland sollten sich besser abstimmen, um die Beziehungen der EU zum Maghreb zu verbessern.
[1] https://www.lemonde.fr/afrique/article/2020/06/26/en-libye-le-pari-perdu-de-la-france_6044218_3212.html
[2] https://www.spiegel.de/ausland/libyen-und-mali-studie-kritisiert-einsatz-von-deutschland-und-frankreich-a-4ba2c41e-631b-4ef4-a87a-97c53ca30992
[3] https://orientxxi.info/magazine/offensive-diplomatique-marocaine-contre-l-allemagne,4606
[4] https://www.lemonde.fr/afrique/article/2022/03/04/gaz-l-algerie-tente-de-se-replacer-sur-le-marche-europeen-a-la-faveur-de-la-guerre-en-ukraine_6116209_3212.html
[5] Schäfer I., Koepf T. (2017), “La coopération franco-allemande à l’égard du Maghreb – convergence des objectifs, divergence des politiques Dialogue européen – penser l’Europe politique”, in: Genshagener Papiere, November 2017