Literatur
Von Caroline - Übersetzung von Moritz Philipp
Über die sommerliche Leichtigkeit von Journalisten und Lyrikern
Es sind die ersten Tage des Sommers, der lohnenden Hitze, ihr spürt die Grashalme an euren Füßen, nehmt sie, hantiert mit ihnen, reißt eine Handvoll heraus, wie um eure Rückkehr zu symbolisieren. Dann geht ihr weg, nach Hause. Unterwegs greift ihr euch ein paar Glyzinien, nehmt sie in die linke Hand, formt sie zu einem Schwanenschnabel und lasst sie in dessen Mulde fallen. Ihr nehmt eure Tätigkeit wieder auf und denkt an eure Blumen, sie riechen gut, erfüllen die Stadt mit ihrem Duft ab den ersten Sonnenstrahlen, auf jede natürliche Bewegung muss verzichtet werden, die euch dazu bringen würde, eure Finger in sich zu schließen. Wenn sie das täten, würden die weichen Blütenblätter ihre Form verlieren, von eurer Haut zerdrückt werden und all ihre Säfte und Farben freisetzen. Ihr haltet einen Mo-ment inne, der Wind klebt an eurer Haut, ihr spürt, wie sich eine Flüssigkeit über dein Blü-tenblattgefäß ausbreitet, eure so aufmerksamen und wachsamen Finger haben einen Mantel aus Feuchtigkeit um ihre Schützlinge gelegt. Ihr hört Stimmen, die Stimmen des Sommers, die Stimmen einer leeren, sonnigen Straße, die sonst nur leichte Luft empfängt, immer lau-ter und klarer als sonst, diese fremden Stimmen wiegen euch fast in den Schlaf.
Das ist es, was den Sommer ausmacht, die Süße einer Jahreszeit, die einen fast vergessen lässt, was war. Doch zu diesem Sommer gehört auch die allgegenwärtige Melancholie der vergangenen Jahreszeiten. Ehrlich gesagt war meine erste Aufgabe, Liebe und Romantik in der deutschen Literatur zu studieren, aber in den von mir ausgewählten Werken manifestier-ten sich diese Lieben meist in Landschaften ohne Probleme: Landschaften, deren Geräusche, Gerüche und Farben auf dem Höhepunkt waren. Ich habe mich dann gefragt, was diese Situ-ationen, diese Landschaften, um die sich diese bezaubernden Liebesgeschichten drehten, darstellen.
Unsere beiden Werke für diesen Monat sind folgende: „Schloss Gripsholm. Eine Sommerge-schichte“ von Kurt Tucholsky, erschienen 1931. Hier betrachten wir die idyllische Reise, die der Autor schildert (I) und wenden uns dann einer Auswahl von Gedichten aus Rainer Maria Rilkes „Das Buch der Bilder“, erschienen 1902, zu. In diesen werden wir sehen, wie es dem Lyriker Freude bereitet, die Welt um ihn herum sehr detailliert darzustellen. (II) Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte, de Kurt Tucholsky, publié en 1931. Il s’agira ici de déceler ce qu’il en est du voyage idyllique que nous dépeint l’auteur (I), puis nous nous tournerons vers une sélection de poème tirés du recueil Das Buch der Bilder, de Rainer Maria Rilke, publié en 1902. Nous verrons dans ceux-ci, la façon dont un poète lyrique se plait à faire le détail du monde qui l’entoure. (II)
I. Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte, eine Liebesgeschichte von begrenzter Zeitlichkeit.
Indem ich den Autor Kurt Tucholsky auf diese Weise vorstelle, wage ich es, das, was zu sei-nem besonderen Schreiben beiträgt, zu entlarven: nicht seinen Hintergrund als Schriftsteller, sondern als Journalist (A). Nach der Vorstellung gehen wir dann zu einer einfach gehaltenen, aber bereits ausreichenden Analyse der Arbeit über (B).
A. Kurt Tucholsky : journaliste par conviction, écrivain par défaut
Kurt Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 in Berlin geboren und starb am 21. Dezember 1935 in Göteborg. Wenn man sich seine Wikipedia-Seite ansieht, wird man feststellen, dass er zunächst als Journalist vorgestellt wird, bevor er als Schriftsteller bezeichnet wird. Aber wer genau war Tucholsky dann?
Kurt Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 in Berlin geboren und starb am 21. Dezember 1935 in Göteborg. Wenn man sich seine Wikipedia-Seite ansieht, wird man feststellen, dass er zunächst als Journalist vorgestellt wird, bevor er als Schriftsteller bezeichnet wird. Aber wer genau war Tucholsky dann?
Nach dem Abitur begann Tucholsky 1909 ein Jurastudium in Berlin. Sein Studium führte ihn jedoch mehr in Richtung Literatur, und er machte auf seinen Reisen verschiedene Begeg-nungen, bis er am 30. September 1911 Franz Kafka kennenlernte, der in seinem Tagebuch über Kurt schrieb: „Ein ausgeglichener 21-Jähriger. Sein Auftreten ist geprägt durch den ge-messenen und festen Schwung seines Stocks, der seine Schulter mit einer jugendlichen Be-wegung anhebt, und wird von einer distanzierten Zufriedenheit und Verachtung für seine eigene Schrift begleitet. Er will Anwalt werden [...]“ Im weiteren Verlauf seines Studiums wandte sich Tucholsky, der bereits stark journalistisch tätig war, von Jura ab und veröffent-lichte nach seiner Promotion 1913 seinen ersten Artikel in der theaterkritischen Wochenzei-tung „Die Schaubühne“. Abitur, commence des études de droit à Berlin en 1909. Cependant, ses études le mènent davantage vers la littérature, il fait au travers de ses voyages diverses rencontres, jusqu’à celle de Franz Kafka le 30 septembre 1911, qui le même jour, s’adonne dans son journal à brosser le portrait de Kurt : « Un homme de 21 ans, bien équilibré. Son comportement marqué par le balancement mesuré et ferme de sa canne qui, soulève d’un mouvement juvénile son épaule, s’accompagne aussi d’un contentement détaché et d’un dédain pour ses propres écrits. Il veut devenir avocat […] » Au fil de ses études, Tucholsky déjà très engagé dans le journalisme, se détache du droit et après l’obtention de son doctorat en 1913, parait son premier article dans l’hebdomadaire de critique théâtrale Die Schaubühne.
Interessant ist, dass 1982 anlässlich der Neuauflage von „Schloss Gripsholm. Eine Sommer-geschichte“ eine Lesung von Tucholsky auf France Culture organisiert wurde. Zu der Zeit war Tucholsky in der europäischen Szene noch unbekannt, nicht nur, weil er wesentlich produkti-ver in seinen Artikeln war, sondern auch, weil seine Sprache sehr schwer zu übersetzen ist. In der Tat werden in vielen Fällen Wortspiele gemacht, die meist auf der deutschen Sprache basieren und darauf, wie sie in derselben Sprache unterschiedlich ausgesprochen werden können. Schließlich heißt es in der gleichen Sendung, dass Tucholsky, obwohl er den sehr berühmten Heinrich Heine als Vorbild hatte, der Schriftsteller war, bevor er Journalist wur-de, das komplette Gegenteil von Heine war. Auch wenn unser Autor heute in Frankreich mehr Anerkennung findet, hielt ich es für wichtig, an seinen Beitrag nicht nur für die deut-sche Presse, sondern auch für die Literatur zu erinnern.
B. Une histoire d’été comportant cependant des rebondissements inattendus
Der Titel unseres Werkes birgt keine Überraschungen, es handelt sich in der Tat um eine Sommergeschichte, man könnte also eine heitere Geschichte erwarten, zumal das Werk recht originell mit einem fiktiven Briefwechsel zwischen Tucholsky und seinem Verleger be-ginnt, in dem er gebeten wird, „eine kleine Liebesgeschichte“ zu schreiben. Worauf Tuch-olsky eher ironisch antwortet: „In der heutigen Zeit Liebe? Lieben Sie? Wer liebt denn heute noch?“ Doch die Antwort ist hier nicht nur dazu da, den Leser zum Lachen zu bringen, und sie bringt uns auf den Weg zu einer Geschichte, die über die einfache Liebesgeschichte hinaus-geht und sich nur auf die Leidenschaften ihrer Figuren konzentriert. Das Bestimmende an diesem Werk ist, dass Tucholsky sich nicht mit Leidenschaften aufhält, wenn überhaupt, da-her auch die Wahl des Titels, eine Sommergeschichte ist nicht nur eine Liebesgeschichte. Dieser Roman erzählt von den Abenteuern des Sommers, den unsere beiden Protagonisten miteinander verbringen: Peter und seine Begleiterin Lydia, deren Rollen in einem anderen Zeit-Raum als dem dieser Sommerpause wenig klar definiert sind. Wir wissen nicht wirklich, wie sie sind, wie sie aussehen, und die einzigen körperlichen Merkmale, die angegeben wer-den, stehen mitten in den Handlungen: „Und dann machte sie die Augen wieder zu. Und wie-der auf.“ Der Roman ist also in fünf Hauptteile gegliedert und beginnt recht locker, denn unsere beiden Helden fahren nach Schweden, um dort ihren Urlaub zu verbringen. Diese Leichtigkeit findet sich in den humorvollen Zeilen auf den ersten Seiten wieder: „Wenn die Leute in Deutschland an Schweden denken, dann denken sie: Schwedenpunsch, furchtbar kalt, Ivar Kreuger, Zündhölzer, furchtbar kalt, blonde Frauen und furchtbar kalt.“
Allerdings nimmt das Werk bald eine andere Wendung, vor allem durch die Beschreibung der Orte. Der Autor schwelgt in einer Kritik, die zu einem Moment des Unbehagens beiträgt, der immer da ist. Die Beschreibung ist kurz und zeigt eine gewisse Schwierigkeit für Peter, das Gesehene zu akzeptieren, aber ausreichend, um sich ein Bild von dem zu machen, was vor ihm liegt: „Stadt und Straßen... der große Tiergarten, der dem König gehört und in dem die wilden zahmen Hirsche herumlaufen und sich, wenn es ihnen grade passt, am Hals krau-en lassen, und so hohe, alte Bäume...“. Manchmal entstehen satirische Bemerkungen, die uns auch daran erinnern, dass unser Autor vor allem Journalist ist: „Die Welt hat eine abend-ländische Uniform mit amerikanischen Aufschlägen angezogen. Man kann sie nicht mehr besichtigen, die Welt - man muss mit ihr leben oder gegen sie.“ Ab dem dritten Teil des Ro-mans nehmen die Elemente an Fahrt auf, vor allem wenn unsere Helden neue Figuren ken-nenlernen und sich über ein mysteriöses Internat austauschen, in dem Kinder angeblich schlecht behandelt werden. Wir gehen dann fast in einen Abenteuerroman über, in dem endlich ein wirkliches Ziel angezeigt wird, das über das Genießen des Urlaubs hinausgeht. Der Autor selbst spielt in den verwendeten Vergleichen darauf an, da diese Abenteuerge-schichte als kindliche Geschichte präsentiert wird: „Wir liegen durcheinander wie die India-ner, wenn sie sich auf den Kriegspfad begeben“. Diese Abenteuergeschichte ist immer wie-der von der Sanftheit und Ruhe der Umgebung durchsetzt, was diesen Roman trotz seiner Eigenheiten zu einer Sommergeschichte macht. Schließlich konnte man es nicht als Liebes-geschichte begreifen, weil diese Liebesgeschichte immer wieder in die Länge gezogen wird und man auch am Ende der Handlung nicht weiß, wie es mit dieser Liebesgeschichte weiter-gehen wird. Außerdem werden die Figuren nur selten so beschrieben, als hätten sie eine leidenschaftliche oder wachsende Liebe füreinander. Das ist auch die Stärke dieser Ge-schichte, eine Sommergeschichte zu bieten, eine Liebesgeschichte mit etwas Handlung, die aber nicht schadet.
II. Das Buch der Bilder, une mélancolie omniprésente couvrant une joie soudaine
Bevor wir Rilkes Lyrik direkt analysieren, werden wir uns zunächst ansehen, wie Rilke sie verfasste und in welchem Zeitpunkt seines Lebens die untersuchte Sammlung einzuordnen ist (A), und dann, auf der Grundlage dieser Beobachtungen, die Entstehung der Lyrik in dieser Sammlung betrachten (B).
A. Rilke : un poète aux évolutions multiples
Rilke gehört in die gleiche Zeit wie Tucholsky (ihr werdet sehen, dass ich mich in meinen primären Zielen, ein zeitgenössisches und ein klassisches Werk zu besprechen, geirrt habe, aber diese beiden Werke schienen mir einander zu ergänzen). Er wurde am 4. Dezember 1875 in Österreich-Ungarn geboren und starb am 29. Dezember 1926 bei Montreux in der Schweiz. Er ist vor allem als Lyriker bekannt, als ein Dichter, der sein Inneres und seine Ge-fühle ausdrückt und für den auch der Klang und die Musik von großer Bedeutung sind. Dies erinnert uns an den Ursprung der Lyrik, die immer mit der Leier und der Musik verbunden ist. Rilke präsentiert sich als der Lyriker ohne Lyrik, der stille musikalische Dichter.
Rilkes Dichtung hörte jedoch nicht auf, sich zwischen 1897 und 1926 weiterzuentwickeln, Theoretiker unterscheiden sogar vier verschiedene Perioden in Rilkes Werk: 1897-1902: Entwicklungsjahre; 1902-1910: Mittlere Schaffensperiode; 1910-1919: Innere und äußere Umwälzungen; 1919-1926: Spätes Werk. Der Zeitraum, der uns für diese Analyse interes-siert, ist die Mittlere Schaffensperiode, eine Zeit, die durch Rilkes Ankunft in Paris und seine Begegnung mit zahlreichen Künstlern von Cézanne bis Rodin geprägt ist. Rilkes Dichtung wurde also von diesen Begegnungen und von dieser neuen Sichtweise auf die Sache oder die Dinge, die man zu vermitteln versucht, genährt. In einer 2005 erschienenen Publikation für die Zeitschrift Germanica mit dem Titel „Die Macht der Musik nach Rilke“ schreibt Fabrice Malkani: „Um die Faszination auszudrücken, die die Musik auf ihn ausübte, stellte Rilke sie zunächst der Malerei gegenüber, die er für das Modell des künstlerischen Schaffens hielt.“ Laut Rilke „zersetzt“ die Musik die erlebte Wirklichkeit, um sie in eine universelle Schwin-gung zu verwandeln, die jeden individuellen Willen unbrauchbar macht. Rodins Kunst, die von vornherein Verwirklichung ist, ist das genaue Gegenteil von Musik. Das ist das Ziel unse-res Werkes: Das Buch der Bilder, dessen Titel bereits die Position des Dichters ausdrückt.
B. Échapper à la musicalité, une composante majeure des poèmes du recueil
Wählt man einige der Gedichte der Sammlung aus, so zeigt sich in den Beschreibungen eine Tendenz zur Darstellung des Rohen. Nehmen wir zum Beispiel das Gedicht „Die Stille“, in der ersten Strophe lesen wir folgendes:
« Hörst du Geliebte, ich hebe die Hände –
hörst du: es rauscht…
Welche Gebärde der Einsamen fände
sich nicht von vielen Dingen belauscht?
Hörst du, Geliebte, ich schließe die Lider
und auch das ist Geräusch bis zu dir.
Hörst du, Geliebte, ich hebe sie wieder……
… aber warum bist du nicht hier. »
Rilke schildert hier die Geräusche des Körpers, im Gegensatz zum Titel des Gedichts „Die Stille“, von dem man meinen könnte, es gäbe gar keine Geräusche, aber es kann nicht nichts geben und nichts ist schon etwas. Dieses Nichts sind also die rohen, ungeschminkten Klänge von Körpern: „es rauscht“; „das Geräusch“. Rilke betont die Bedeutung dieser Klänge, dieser Bewegungen, denen die meisten Menschen keine Aufmerksamkeit schenken: „Welche Ge-bärde der Einsamen fänd/sich nicht von vielen Dingen belauscht?“ Diese Klänge, wie die Musik im Sinne der Kunst, Klänge und Stille im Laufe der Zeit zu kombinieren, ermöglichen auch ein Erinnern, ein Reisen. Rilke will nicht mit Musik musizieren, sondern er sucht die Musikalität in allem, was ist, um sie im Wort, im Vers, der selbst ein Vehikel für eine be-stimmte Symphonie ist, zu gestalten.
Betrachten wir nun ein Gedicht, das in einer ähnlichen Zeit und an einem ähnlichen Ort spielt wie das in Tucholskys Werk. In dem Gedicht „Abend in Skåne“ wird eine Sonnenunter-gangslandschaft in Skåne, einer Provinz in Südschweden, dargestellt. Auch hier wird der Klang durch die verschiedenen natürlichen und menschlichen Elemente, die ihn umgeben, verkörpert:
„In den Wind,
denselben Wind, den auch die Wolken fühlen,
die hellen Flüsse und die Flügelmühlen,
die langsam mahlend stehn am Himmelsrand.“
Nach dieser ersten Strophe der Ruhe, die dennoch peinlich ist, da sie während „der Dämme-rung“ stattfindet, geht Rilke in eine beschreibende Abstufung über, fast in Form einer Hypo-typosis, die ganz ohne Ton auskommt und nur mit Bildern gefüllt ist, die in Form eines Ge-mäldes dargestellt werden, dessen Elemente nach und nach vervollständigt werden:
„Ist das Ein Himmel?:
Selig lichtes Blau,
in das sich immer reinere Wolken drängen,
Und drunter alle Weiß in Übergängen,
und drüber jenes dünne, große Grau,
warmwallend wie auf roter Untermalung,“
Im Gegensatz zu Tucholsky sind bei Rilke die äußeren Elemente eine Quelle des Glücks, eine Verbindung zum Schönen und Lebensspendenden, während bei Tucholsky die Landschaften, obwohl sie angenehm sind, keine Befreiung des Selbst ermöglichen, sondern die menschli-chen Beziehungen. Dennoch fließt bei unseren beiden Autoren eine ständige Unsicherheit zwischen den Zeilen.
A vos livres, bonne lecture
Literatur, ein Tor zum Verständnis des Andersseins
Über die Sprache sagte Wittgenstein folgendes: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner eigenen Welt. "
Unter denjenigen, die sich für eine neue Kultur interessieren, ist es immer üblich zu fragen: Wie können wir über den anderen denken? Wie können wir den anderen verstehen, wenn die Sprache eine Barriere ist, eine unüberwindbare, die eine ungenaue Vorstellung von dem bestimmt, was vor uns erscheint? Meiner Meinung nach streben wir alle nach einem Verständnis, wenn auch anders, aber vollständig, durch die Kunst, die erste Tür zur Entdeckung dessen, was außerhalb von uns ist.
Als mir also angeboten wurde, monatlich über deutsche Literatur zu schreiben, war ich begeistert, ein Stück von dem zu teilen, was in Deutschland Interesse und Entdeckung wecken könnte. Meine erste Befürchtung war jedoch, dass es wenig oder kein Interesse geben würde. Es ist auch wahr: Wer von den Angehörigen meiner Generation kann sich rühmen, deutsche Werke, ob neu oder klassisch, gelesen zu haben?
In einer Zeit der angelsächsischen kulturellen Hegemonie hielt ich es für notwendig, länger gegen die Wellen anzuschwimmen, um Texte, Fragmente, Bücher und Romane unserer deutschen Nachbarn zu finden, die uns mehr geben können, als sie zu sein scheinen. Und um Ihnen, liebe Leser, neue Anhaltspunkte zu geben, weg von den allgegenwärtigen Gedanken des Augenblicks.
Die Texte zu gruppieren und ein geeignetes Korpus auszuwählen, war keine leichte Aufgabe; Klassiker? Moderne? von wem soll man auswählen? die sehr gelesenen? die unbekannten? Schließlich entschied ich mich, so zu arbeiten: Diese monatlichen Publikationen werden immer zwei Werke meiner Wahl enthalten, die so gut wie möglich in ein allgemeineres Thema integriert werden. Von diesen Werken wird eines aus der eher klassischen Literatur stammen, das andere aus der Welt der zeitgenössischen Autoren, also vom 19. Jahrhundert bis heute und sogar morgen.
Das Thema dieses Monats, und es tut mir leid, wenn ich Sie an meinen Titel (oben) erinnere, ist das der Umarmung des Andersseins. Mit Andersartigkeit meine ich nicht unbedingt nur die kulturelle Differenz, sondern alles, was nicht wir sind, also der Andere als Subjekt, der Andere, der diese Welt teilt. Dieses Thema ist, vor allem durch die aktuellen Ereignisse, ein großes Thema. Da wir alle von der Enge betroffen waren und allein auf unseren Sofas saßen und "auf Godot warteten", war für viele die einzig mögliche Unterhaltung in Büchern und durch die Geschichten, die sie uns anbieten konnten. Diese Gespräche kamen auch zu mir, manchmal waren sie langweilig, andere ergiebig und wieder andere irritierend, aber aus meinem heterogenen Garten habe ich zwei ausgewählt:
Bei meiner ersten Lektüre geht es in erster Linie um die Ereignisse, die uns umgeben, und damit um eine Antwort auf Auguste Comtes berühmten Satz: " Wissen, um vorauszusehen, voraussehen, um zu können ". Diese trägt den Titel Ich Rede von der Choleraund ist ein Manuskript von Heinrich Heine vom April 1832, das kürzlich als Kurzgeschichte bei Hoffman und Campe neu aufgelegt wurde. Hier schildert Heine als deutscher Korrespondent der Allgemeinen Zeitung die Cholera-Krise, die 1832 in Paris wütete Allgemeiner Zeitung. Ce court texte vaut le détour : non seulement pour les qualités stylistiques des articles de Heine, représentant le journalisme littéraire du XIXe, mais aussi à des fins de comparaisons avec la situation actuelle. Ce qui est admirable dans ce récit, c’est d’abord cette verve, cette fougue avec laquelle Heine dépeint cette crise. Les éléments s’enchainent, sont rapides, il s’agit d’expliciter ce qui se passe à Paris aux lecteurs du journal, et en peu de pages, de manière aussi précise que possible. Nous assistons alors à des scènes apportant une critique de cette crise et des réactions qu’elle entraine. Ces réactions qui, par ailleurs nous rappellent celles de notre époque : « Man sagt, auf dem Hotel de Ville seien seitdem über 120 000 Pässe ausgegeben worden. Obgleich die Cholera sichtbar zunächst die ärmere Klasse angriff, so haben doch die Reichen gleich die Flucht ergriffen».
Deuxièmement, il y a aussi des éléments plus intimes, qui y sont décrit par Heine, avec comme une certaine quiétude, une douce légèreté, peut-être pour montrer cette habitude à l’horreur qui s’installe: « « Wir werden einer nach dem anderen in den Sack gesteckt ! », sagte seufzend mein Bedienter jeden Morgen, wenn er mir die Zahl der Toten oder das Verscheiden eines Bekannten meldete ».
Manchmal schildert Heine das Verlorene dieser Krise auch gerne romantisch, und man könnte meinen, dass er auf seinen eigenen Zustand anspielt, er, der, einst in Frankreich, sein Leben lang Sehnsucht nach Deutschland empfunden hat: " Bei andern erwachte plötlich ein unendliche Sehnsucht nach dem teuren würdigen Rheins, nach den geliebten Bergen, nach dem Holdseligen Schwaben, dem Lande der frommen Minne, der Frauentreue, der gemütlichen Lieder und der gesünderen Luft. »
Ich werde die Geschichte nicht weiter analysieren und überlasse es Ihnen, die Entdeckung zu genießen. Ganz einfach: Was können wir aus dieser Lektüre in Bezug auf unser anfängliches Thema lernen? Dafür müssen wir uns das Unverständnis, aber vielleicht auch die Angst während einer Krise anschauen. Was könnte da besser sein als eine Analogie mit einem Element der Vergangenheit, nicht nur zum Vergleichen, sondern auch zum Verstehen! Zu verstehen, dass das, was mit uns geschieht, bereits geschehen ist, dass unser Verhalten, obwohl es neu ist, rein menschlich ist. Das Stigma dieser Krise wird bleiben, wie im Jahr 1832, und dass jeder Visionen zu geben und Landschaften zu hören hat.
Bei meiner zweiten Lektüre geht es mehr um den Dialog innerhalb der Literatur. Ich habe dafür die Sammlung von Kurztexten mit dem Titel "Kaffee und Zigaretten" von Ferdinand von Schirach ausgewählt, die 2019 bei Luchterhand erscheint. Diese autobiografische Sammlung ist in 48 kurze Texte unterteilt, die uns Elemente aus dem Leben des Autors zeigen und größtenteils, wenn auch nur implizit, die Phasen seiner Depression heraufbeschwören. Dieses Buch hat Anlass zu vielen Diskussionen gegeben. In der Tat tritt dieses Buch hinter den Geschichten zurück, die Schirach uns normalerweise geben könnte. Viele Menschen haben in diesen zahlreichen kurzen Texten keine Befriedigung gefunden. Dennoch scheint es mir, dass diese Texte wie ein Goldschmiedewerk sind, alle haben einen Platz, einen wohlbestimmten Wert und tragen auch zum Verständnis des Autors bei, der sich in einer autobiografischen Übung zu exponieren suchte. Es erinnert fast an Sarrautes "Tropismes".
Schirach greift verschiedene Themen auf, die manchmal persönlich sind, aber oft mit realen Problemen unserer Zeit verbunden sind. So gehen wir von Texten aus, die sich z.B. mit der Fähigkeit des Autors zur Synästhesie von klein auf beschäftigen: "Er glaubt, die anderen Kinder würden das Gleich sehen, das Wort Synästhesie lernt er erst viel später. "Ich habe auch über den Einfluss der Sprache auf unser Handeln geschrieben: "Es ist die Sprache, die unser Bewusstsein verändert". Leider reicht die Zeit nicht aus, um einen Überblick über alle Themen zu geben, aber in dieser Sammlung wird eine echte Beziehung zum Autor aufgebaut, wie eine Diskussion über verschiedene Themen, die Raum zum Nachdenken lässt. Dazu trägt auch Schirachs Schreibweise bei, er schafft es, in sehr flachen Sätzen, so genau zu beschreiben, was ihm erscheint. Das ist die Stärke dieser Sammlung, dass sie uns erlaubt, uns mit dem Autor, aber auch mit uns selbst zu finden, angesichts von Themen, deren Antworten nur komplex sein können. Schirach öffnet den Weg zur Befragung. Er weist nur auf den Tropismus oder die Tropismen hin, ohne sie zu explizit zu machen. Oder er gibt eine persönliche Meinung ab. Aber es bleibt uns, den Lesern, die Aufgabe, unseren Stein zum Bau beizutragen, nach dem zu suchen, was in den vom Autor angesprochenen Themen problematisch ist.
Wenn also unter Andersartigkeit in einem Buch nicht nur die Andersartigkeit des Anderen zu verstehen ist, sondern auch die Andersartigkeit eines deutschen Gedankens, weil er sich mit Begriffen auseinandersetzt, die wir Franzosen nicht besitzen, wie etwa dem Zeitgeist oder der Heimat, dann kann sie in diesem Buch tatsächlich gezeichnet werden. Schirach ist eine Befragung der Welt, von uns selbst und von uns allen, die wir dieses Ganze bilden, die ein Körper sind.
Die Offenbarung dessen, was wir leben, was wir sind und was der andere ist, durch Worte, das ist der Weg, der wahre Weg, zu Ihren Büchern!